George H. W. Bushs Konzept der “new world order”

Konzeption, Umsetzung und Anwendungsrahmen im Bezug auf Golfkrise und Zweiter Golfkrieg

Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

38 Seiten, Note: 1,0

T S 

B.A. THOMAS SCHULZE (AUTOR:IN)

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. George H. W. Bushs Konzept der new world order
2.1 Historischer Entstehungskontext, Aufbruchsstimmung und Golfkrise
2.2 Die Konzeption der new world order – Kernprinzipien, Motive und historische Verortung
2.3 Bildung und Aufrechterhaltung der Koalition, internationale Zusammenarbeit und Embargo
2.4 Die Hervorhebung der Rolle der Vereinten Nationen und die UN Resolutionen
2.5 Forschungstendenzen zur new world order und Schlussfolgerungen

3. Zusammenfassung

4. Quellen- und Literaturverzeichnis
4.1 Quellen – Reden (chronologisch sortiert)
4.2 Quellen – Memoiren, Biographien, UN
4.3 Forschungsliteratur

1. Einführung

Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung der Frage, inwieweit George H. W. Bushs Konzept der new world order und dessen Umsetzung im Kontext der Golfkrise und des Zweiten Golfkrieges tatsächlich die Begründung einer neuen Weltordnung darstellt. Bushs Vision stellt sich als einzigartige Konzeption dar, die den Beginn einer neuen Ära des Friedens, der Gerechtigkeit und der internationalen Zusammenarbeit nach Ende des Kalten Krieges skizzierte und den rhetorischen Kurs des Präsidenten zwischen Spätsommer 1990 und Mitte 1991 dominierte. Im Kern der Arbeit stehen daher drei Fragen: Wie und in welchem historischen Kontext vollzieht sich die rhetorische Konstruktion der new world order und worin bestehen ihre Kernelemente, Prinzipien und Motive? Wie wird die rhetorische Vision politisch umgesetzt? Begründet diese Umsetzung eine new world order und etabliert somit ein Modell zur Handhabung zukünftiger globaler Krisen?

Der erste Teil der Arbeit hebt die politische Aufbruchsstimmung nach Ende des Kalten Krieges als Voraussetzung für die Entstehung der new world order hervor und verweist auf die historische Bedeutung der Golfkrise. Im zweiten Teil der Arbeit wird die Entstehung des Konzepts anhand des rhetorischen Diskurses Bushs nachvollzogen sowie Leitmotive und Prinzipien der new world order identifiziert und analysiert. Anschließend stellen Teil drei und vier den Aufbau und Zusammenhalt der multinationalen Koalition, die Verhängung eines Embargos und wirtschaftlicher Sanktionen sowie die Hervorhebung und Involvierung der Vereinten Nationen als konkrete Umsetzungen der rhetorischen Zielsetzungen der new world order in den Mittelpunkt der Betrachtung. Schließlich werden im fünften Teil Tendenzen der Forschungsdebatte zu Bushs Konzept kritisch diskutiert und die Argumentationslinien zu einer Abschlussbewertung zusammengeführt.

Als Quellen der Arbeit dienten in erster Linie die öffentlichen Reden und Äußerungen George Bushs, die als achtteilige Quellensammlung Public Papers of the Presidents of the United States den gesamten Zeitraum seiner Amtszeit als US-Präsident abbilden. Im Kern der Betrachtung stand dabei der Zeitraum der Golfkrise und des Zweiten Golfkrieges zwischen August 1990 und März 1991, wobei insbesondere Bushs Address Before a Joint Session of the Congress -Rede vom 11. September 1990, seine Rede vor der UN Generalversammlung vom 1. Oktober, sowie die Reden zu Beginn der Luftoffensive vom 16. Januar und die State of the Union -Ansprache vom 29. Januar 1991 die Grundsatzreden des new world order -Diskurses darstellen und daher besonders im Fokus der Interpretation standen. Zusätzlich eröffneten die Memoiren A World Transformed George Bushs und Brent Scowcrofts sowie James A. Bakers III The Politics of Diplomacy Einblicke in die historischen Konstruktionsprozesse und Intentionen der new world order. Sowohl in Bezug auf die Reden Bushs als auch die erwähnten Memoiren versucht die Arbeit, ihrer besonderer Standortgebundenheit und Perspektivität Geltung zu tragen und eine kritische Hinterfragung ihrer Argumentation vorzunehmen. Daneben stellten die zwischen dem 02. August und 29. November 1990 verabschiedeten UN Resolutionen 660 bis 678 sowie die UN Charta notwendige Voraussetzungen zur Erarbeitung der konkreten Umsetzungsversuche des Konzepts im Rahmen der Vereinten Nationen sowie ihrer (völker-)rechtlichen Grundlagen dar. Schließlich wurde je eine ausgewählte Rede Woodrow Wilsons und Franklin D. Roosevelts in die Analyse des ideengeschichtlichen Entstehungskontexts der new world order einbezogen; Bush Autobiographie Blick nach vorn lieferte zusätzlich wichtige Erkenntnisse zu möglichen Ursachen einer Verankerung des Konzepts innerhalb der Vereinten Nationen.

Innerhalb des Forschungsfeldes zur Konstruktion, Bedeutung und Bewertung der new world order Bushs bilden insbesondere die Monographien Stephen Hursts und Michael Cairos wichtige Grundlagen dieser Arbeit. Hursts Argumentation vollzieht dabei eine dezidierte Untersuchung der historischen Ursprünge und Implikationen des Konzepts und betont insbesondere die Rolle des Multilateralismus innerhalb der Konzeption, während Cairo eine umfangreiche vergleichende Analyse der Präsidentschaften beider Bushs anbietet, die vor allem in George H. W. Bushs Stilisierung als enlightened realist den Ursprung seines pragmatischen Führungsstils erkennt und daraus dessen Motiv für die Betonung einer neuen, internationalen Kooperation ableitet. Beide Monographien stellten mit ihrer insgesamt positiv geprägten Beurteilung der Implikationen der new world order einen wichtigen Ausgangspunkt zur kritischen Analyse dieser Einschätzungen dar. Daneben bildet Lawrence Freedmans und Efraim Karshs Standardwerk The Gulf Conflict 1990-1991 einen wichtigen Bezugspunkt dieser Arbeit: Die Monographie zeichnet auf der Basis unzähliger Quellen einen akkuraten Verlauf der Golfkrise, ihrer Vorbedingungen und Nachwirkungen und liefert insbesondere in Hinblick auf den Aufbau und Zusammenhalt der multinationalen Koalition, die politischen Zusammenhänge der Verabschiedung der UN Resolutionen und die Auswirken des Embargos wichtige Informationen. Daneben liefern die Aufsätze und Artikel Jeffrey Engels, Eric Millers und Steve Yetivs sowie Jerry Pubantz‘ jeweils Ausgangspunkte für die Betrachtung ausgewählter Facetten der new world order: Engel unterstreicht die enge Verbindung zwischen dem Entstehungsmoment des Konzepts und seiner Einbettung in die hoffnungsvolle und optimistische Phase nach Ende des Kalten Krieges. Miller und Yetiv hingegen vollziehen die Entwicklung der new world order chronologisch nach und identifizieren in ihrer wertvollen Analyse thematische Dimensionen, welche den Ansatzpunkt für die Erarbeitung der Motive und Prinzipien des Konzepts innerhalb dieser Arbeit boten und Pubantz betont die Hervorhebung und Sichtbarmachung der UN durch die Golfkrise als Fortführung der historischen Vorläufer der Weltordnungsvision George Bushs. Mit Hilfe dieser und weiterer Forschungsbeiträge konnte das Konzept der new world order in Hinblick auf Konstruktion, Umsetzung und Anwendungsrahmen umfassend diskutiert werden.

2. George H. W. Bushs Konzept der new world order

2.1 Historischer Entstehungskontext, Aufbruchsstimmung und Golfkrise

Das sich abzeichnende Ende des Kalten Krieges seit den späten 1980er Jahren und die daraus resultierenden globalen politischen, ökonomischen und sozialen Wandlungsprozesse spiegelten sich innerhalb der amerikanischen Präsidentschaftsrhetorik in einem neuen Gefühl der Hoffnung und des Optimismus wider. Während insbesondere die erste Amtszeit Ronald Wilson Reagans von der „Peace through strength“-Mentalität gekennzeichnet war[1], die sich in der sogenannten Reagan-Doktrin niederschlug und im Kern darauf abzielte, „…to defy Soviet-supported aggression and secure rights which have been ours from birth“[2], ließ sich gegen Ende der zweiten Amtszeit Reagans ein deutlicher außenpolitischer Kurswechsel feststellen. Angetrieben durch die vom Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Michail Sergejewitsch Gorbatschow, initiierten Reformprozesse Glasnost und Perestroika und der Annäherung zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika sprach Reagan in seiner Farewell Address vom 11. Januar 1989 von einer „satisfying new closeness with the Soviet Union”[3]. Insbesondere in Reagans Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 1988 wird der Umfang und die Wirkungsmacht dieser neuen Verbundenheit deutlich: Mit Ende seiner Präsidentschaft sei nicht nur ein neues Zeitalter in der Beziehung zwischen den USA und der Sowjetunion angebrochen, sondern auch die Hoffnung auf ein „new age of world peace“[4] wiederbelebt worden. Diese Hoffnung sei eng mit den Idealen und den Ideen der UNO – „…the dream of peace among nations, the dream that began the United Nations“[5] – verknüpft und erscheine nun wieder greifbar.

Als George Herbert Walker Bush nach acht Jahren als Vize-Präsident Reagans am 20. Januar 1989 zum 41. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt wird, scheinen diese Hoffnung und dieser Optimismus auf eine verheißungsvolle, friedlichere Welt ungebrochen. Bushs Antrittsrede versinnbildlicht dabei in Form der Metapher der „new breeze“ eine Aufbruchsstimmung – „For a new breeze is blowing, and a world refreshed by freedom seems reborn. […] the day of the dictator is over. The totalitarian era is passing, its old ideas blown away like leaves from an ancient, lifeless tree”[6]. Das sprachliche Bild des “frischen Windes” steht dabei nicht nur stellvertretend für den Beginn einer neuen politischen Ära in den USA unter Bush, sondern fungiert auch als Repräsentation amerikanischer Freiheits- und Menschenrechtsideale („free markets, free speech, free elections, and the exercise of free will“[7] ), die sich nun weltweit entfalten können. Das Ideal dieser neuen Zeit sei die Geste der ausgestreckten Hand[8] – sie drücke die Entschlossenheit der USA aus, sich den globalen Herausforderungen zu stellen und diesen zugewandt zu begegnen. Im weiteren Verlauf des ersten Jahres seiner Amtszeit unterstrich Bush immer wieder die Bedeutung und Einzigartigkeit der neuen Ära – die eine „time of extraordinary hope“ sei, die reale Möglichkeiten globaler Veränderungen bereithalte und deren „new openness“[9] gegenüber der Sowjetunion neue Ansätze der internationalen Zusammenarbeit biete. Im Mai 1990, als sich die Verheißungen dieses neuen Zeitalters in Form der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösungsprozesse in der Sowjetunion zu verwirklichen schienen (und ungeachtet gegenläufiger Tendenzen wie des Tian’anmen-Massakers vom Juni 1989), konstatierte George Bush: „Now Europe and the world have entered a new era: the Age of Freedom“[10].

Die Invasion Kuwaits am 02. August 1990 durch den Irak sowie die spätere Annexion des Emirats am 08. August 1990 stellten die Verheißungen dieser neuen Ära auf eine Probe und erschütterten die gehegten Hoffnungen tief. Der regionale Konflikt stellte die bisherige Irak- und Nahostpolitik der Bush-Regierung grundsätzlich in Frage – die finanzielle, technologische und nachrichtendienstliche Unterstützung des Iraks als wichtiger Verbündeter und politisches Gegengewicht zum Iran[11] seit Anfang der 1980er Jahre, als Fortsetzung des Reagan-Kurses und als Weiterführung der Leitlinien der National Security Directive 26 [12], stellte mit Beginn der Invasion Kuwaits keine Option mehr dar. George Bush unterstrich im Rückblick, dass schnell ersichtlich geworden sei, dass Iraks Aggression gestoppt und Kuwaits Souveränität schnellstmöglich wiederhergestellt werden müsse[13]. Stephen Hurst zufolge zielten die Maßnahmen der Bush-Regierung in der Folge darauf ab, die ökonomische und diplomatische Isolation Iraks und somit letztendlich den Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait zu erwirken[14] – ohne dabei grundsätzlich eine militärische Option auszuschließen[15], wie Lawrence Freedman und Efraim Karsh unterstreichen. Die von den USA initiierte Desert Shield -Mission forcierte in den weiteren fünf Monaten vornehmlich den militärischen und wirtschaftlichen Schutz Saudi-Arabiens sowie weiterer Nachbarstaaten und die Durchsetzung des durch mehrere UN-Resolutionen verhängten Embargos und den resultierenden Sanktionen[16]. Schließlich folgte, nach monatelangen diplomatischen Verhandlungen um Iraks (bedingungslosen) Rückzug oder die Freilassung ausländischer Geiseln[17], mit Beginn der Operation Desert Storm am 16. Januar 1991[18] ein fünfeinhalbwöchiger Luftkrieg der multinationalen Koalition gegen die irakische Armee, dem sich ein viertägiger Bodenangriff ab 24. Januar 1991 anschloss[19] und schlussendlich Ende Februar die vollständige Wiederherstellung Kuwaits territorialer Integrität und die spätere Wiedereinsetzung seiner legitimen Regierung zur Folge hatte. Der Ausgang des Zweiten Golfkrieges entsprach dabei Bushs rhetorischer Zielsetzung vom 16. Januar 1991:

„Saddam Hussein’s forces will leave Kuwait. The legitimate government of Kuwait will be restored to its rightful place, and Kuwait will once again be free. Iraq will eventually comply with all relevant United Nations resolutions, and then, when peace is restored, it is our hope that Iraq will live as a peaceful and cooperative member of the family of nations…”[20].

Bushs Verweis auf die Wiedereingliederung Iraks in die internationale Gemeinschaft der Nationen entspricht dabei dem Tenor seiner Rhetorik vom 02. und 06. März 1991 – das Ende der Golfkrise[21] gebe neue Hoffnung auf „renewed life in Kuwait, renewed prospect for real peace throughout the Middle East…”[22] und eröffne die Möglichkeit, langfristig Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten im Rahmen eines „framework for peace“[23] zu etablieren. Bushs „new breeze“ war wieder spürbar, die „new era of international relations“[24], die Bushs Außenminister James Addison Baker III Anfang 1989 skizzierte, schien erneut in greifbare Nähe gerückt zu sein. Das folgende Kapitel wird anhand dieses historischen Kontexts George Bushs Konzeption der new world order rekonstruieren, ihre Kernelemente und Motive identifizieren sowie die historischen Vorbilder und das implizierte Rollenverständnis des Konzepts analysieren.

2.2 Die Konzeption der new world order – Kernprinzipien, Motive und historische Verortung

George Bushs Konzept der new world order ist eine rhetorische und politische Antwort auf die Zäsur der Golfkrise und deren Auswirkungen auf das System der internationalen Beziehungen nach Ende des Kalten Krieges. Sechs Tage nach der Invasion Kuwaits durch den Irak unterstrich Bush in einer Address to the Nation -Rede, dass die Standhaftigkeit der Weltgemeinschaft gegenüber der Aggression Iraks sinnbildlich für den Beginn eines neuen Zeitalters stehe und deutete erneut die Verheißungen der neuen Zeit an: „This new era can be full of promise, an age of freedom, a time of peace for all peoples“[25]. Die Rede vom 08. August 1990 stellt die rhetorische Geburtsstunde für Bushs Konzept der new world order dar, auch wenn die Vision zu diesem Zeitpunkt noch ohne konkretes sprachliches Schlagwort auskommt. Brent Scowcroft, enger Freund Bushs und Nationaler Sicherheitsberater in seinem Kabinett, schildert in den gemeinsam mit Bush veröffentlichten Memoiren A World Transformed, dass das Konzept Ende August 1990 Form angenommen habe und die zukünftige Weltordnung als grundsätzlich neu und andersartig zu der des Kalten Krieges verstand[26]. Diese Konzeption erhielt in Bushs Rede vor dem Kongress am 11. September 1990 eine konkretere Gestalt – Bush verwies darauf, dass die USA in der Golfkrise vier Ziele[27] verfolgen und sich in und nach dieser Krise ein fünftes Ziel verwirklichen lassen könne:

„a new world order – […] a new era – freer from the threat of terror, stronger in the pursuit of justice, and more secure in the quest for peace. An era in which the nations of the world, […] can prosper and live in harmony.”[28]

Diese neue Weltordnung sei „…a world quite different from the one we’ve known” und basiere auf Rechtsgrundsätzen („rule of law“) und Verbindlichkeiten – etwa der globalen Verantwortung für Freiheit und Gerechtigkeit und dem Schutz Schwächerer durch Stärkere[29]. George Bush bemerkt schließlich, dass dies die Vision der Zukunft der Welt sei, die er auf dem Treffen in Helsinki vom 09. September 1990 mit Gorbatschow geteilt habe[30] – dort betonte er, dass die neue, gleichberechtigte amerikanisch-sowjetische Zusammenarbeit einen elementaren Baustein der new world order darstelle[31] und etwa Möglichkeiten biete, zukünftige Konflikte im Nahen Osten (und weltweit) gemeinschaftlich zu lösen. Bushs Rede vom Oktober 1990 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen stellte schließlich eine konkrete Verbindung zwischen dem Konzept der new world order und der Rolle der UNO her und griff Aspekte der Kongressansprache vom September 1990 auf:

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