Teilen

Woman complaining during a blackout at home model released Symbolfoto PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTx

imago images / PanthermediaWegen der historisch hohen Strompreise kündigen Billiganbieter reihenweise ihren Kunden – womöglich, um ihre Kontingente gewinnbringend an den Strombörsen zu verkaufen.

Dienstag, 05.07.2022, 12:58

Jeder vierte Haushalt in Deutschland gibt mehr als zehn Prozent seines Einkommens für Energie aus. Das geht aus einer neuen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft hervor. Die Zahl der Betroffenen ist stark gestiegen. Auch in der Mittelschicht. Was jetzt gegen die wachsende „Energiearmut“ getan werden kann und warum Schweden es besser macht als Deutschland.

Wer arbeitslos ist, gerade in die Rente eintritt oder alleinerziehend ist, hat es derzeit besonders schwer. Die Preise für Verbraucher klettern unermüdlich. Insbesondere im Bereich der Energie schlagen die Kosten voll ins Kontor. Experten sprechen dann von Energiearmut. Gemeint sind Haushalt, die aufgrund von enorm gestiegenen Energiepreise in eine finanzielle Schieflage rutschen können.

Die Betroffenen können die Ausgaben für Energie nicht mehr ohne fremde Hilfe decken. Aus einer neuen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft geht hervor, dass der Anteil der energiearmutsgefährdeten Haushalte im Mai 2022 auf 25,2 Prozent gestiegen ist. Im Vergleich zum Vorjahr konstatieren die Experten einen Anstieg von rund 11 Prozentpunkten.

Spannend, aber gerade keine Zeit?

Jetzt Artikel für später in „Pocket“ speichern

„Aus diesem Grund sind die Maßnahmen der Bundesregierung in Form der Abschaffung der EEG-Umlage, der Energiepreispauschale und des Heizkostenzuschusses für Haushalte mit geringen Einkommen besonders wichtig“, schreiben die Studien-Autoren. Wie sich die Energiearmutsgefährdungsquote ab 2016 in Deutschland entwickelt hat, zeigt die Grafik.

Energiearmut: Das zeigt die Grafik

Die blaue Kurve („Energieausgaben > 10 %“) definiert ein Haushalt als von Energiearmut betroffen, wenn er mehr als 10 Prozent seines Haushaltsnettoeinkommens für Energieausgaben aufwenden muss. Ausgaben für Heizen, Warmwasseraufbereitung, Kochen und häufig auch Strom sind hier inbegriffen. Ausgaben für Pkw-Kraftstoffe werden hier nicht berücksichtigt.

Die grüne Kurve („Energieausgaben > 10 % und Einkommen < 60 Prozent des Medians“) ist eine Kombination der 10-%-Grenze mit der relativen Armutsrisikogrenze. Nach amtlicher Definition liegt diese bei 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommens der Bevölkerung. So können Haushalte mit mittleren und hohen Einkommen in der Betrachtung ausgeblendet werden, die keinen Großteil ihres Einkommens für Konsum und Basisgüter wie Energie ausgeben müssen.

Die gelbe Kurve („Energieausgaben > 10 % und Einkommen < 80 Prozent des Medians“) kombiniert die 10-%-Grenze neben den „Relativ Armen“ auch mit der „Unteren Mitte“. Denn: der Energiepreisanstieg führe auch zu hohen Belastungen bis weit in die Mittelschicht, so die Autoren. Der Grund für die verschiedenen Ansätze: „Sowohl in Deutschland als auch international besteht keine allgemeingültige Definition von Energiearmut.“

Krieg in der Ukraine beschleunigt die Dynamik

Von 2016 bis 2020 ist zunächst ein Rückgang der von Energiearmut Betroffenen zu verzeichnen. Von rund 18 Prozent der Menschen in Privathaushalten, die mehr als 10 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für Energie ausgaben, sinkt der Wert in vier Jahren auf 13,6 Prozent. Das zeigt die blaue Kurve. Gründe dafür sind laut IW-Forscher gestiegene Einkommen (0,8 Prozent) und gefallene Energiepreise (-2,2 Prozent).

2021 wandelt sich das Bild hingegen. Zwar klettern die Einkommen weiter um 2,5 Prozent, die Energiepreise hingegen steigen umso stärker an (4,7 Prozent). Der starke Preisanstieg auf dem Energiemarkt habe vor allem zum Jahresende hin stattgefunden, schreiben die Wirtschaftsexperten. Eine Verteuerung sei zudem durch die 2021 eingeführte CO2-Bepreisung für Erdgas und Heizöl festzustellen. In der Folge waren 2021 14,5 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik von Energiearmut betroffen.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine beschleunigt die Prozesse weiter und lässt die Zahl der Betroffenen auf 25,2 Prozent im Mai ansteigen. Das Risiko, in die Energiearmut zu rutschen, ist also seit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des Krieges, stark erhöht.

Auch Mittelschicht von Energiearmut betroffen

Doch nicht nur Haushalte mit niedrigerem Einkommen sind von den hohen Preisen betroffen. „Energiearmut betrifft auch die Mittelschicht“, sagt IW-Ökonom Ralph Henger. Gemeint sind Haushalte, die zwischen 60 und 80 Prozent des Medianeinkommens verdienen. Hier verdoppelte sich der Anteil der von Energiearmut betroffenen Haushalte von 2021 zu 2022 auf rund 41 Prozent.

Die grüne Kurve zeigt: Nachdem die Quote von 8,3 Prozent im Jahr 2016 auf 7,2 Prozent im Jahr 2019 sank, steigt der Wert bis zum Mai 2022 auf über 10 Prozent. Der Anteil der Menschen aus dem Niedrigeinkommensbereich mit Energieausgaben über 10 Prozent nahm demnach von 49 Prozent (2021) auf 65 Prozent (Mai 2022) stark zu.

Und die gelbe Kurve zeigt ein ähnliches Bild. „Auch hier sank die Energiearmutsgefährdungsquote zwischen 2016 und 2020 von 13,4 auf 10,7 Prozent. 2021 stieg die Quote leicht auf 11,3 Prozent, ehe sie im aktuellen Jahr auf 16,8 Prozent klettere“, erklären die Forscher.

Wer ist von Energiearmut wie stark betroffen?

Von den mit dem Krieg einhergehenden Preissteigerungen im Energiebereich sind Haushalte jedoch unterschiedlich stark betroffen. Das sei abhängig von der Beheizungsart, dem Energieversorger sowie der energetischen Qualität des Gebäudes, heißt es weiter. Hinzu komme, dass Haushalte auch durch Verhaltensanpassungen reagieren, beispielsweise indem sie stärker auf das Einsparen von Energie achten würden.

Klar ist: Um künftig Strom-, Gas- und Ölrechnungen bezahlen zu können, sind viele Haushalte auf Unterstützung angewiesen. Die IW-Forscher plädieren für zielgerichtete Hilfen für Haushalte, die knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze stehen. Sie sind der Auffassung, dass viele Maßnahmen der beiden Entlastungspakete, wie die Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Juli, diese Gruppe am stärksten entlasten werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert