Stand: 07.08.2022 | Lesedauer: 16 Minuten
Von Thore Barfuss, Jan Alexander Casper
Moskau und Kiew haben sich gegenseitig den Beschuss des von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja vorgeworfen. In Teilen der Stadt Enerhodar, in der das Kraftwerk liege, seien Strom- und Wasserversorgung ausgefallen.
Quelle: WELT
Kiew warnte bereits, dass ein Beschuss wie eine „Atombombe“ wirken könnte. Unterdessen ist die ukrainische Amnesty-Chefin zurückgetreten. Mehr im Liveticker.
Der Beschuss des ukrainischen Kernkraftwerks Saporischschja bei den Kämpfen russischer und ukrainischer Truppen alarmiert die Internationale Atomenergie-Organisation. IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi warnte am Samstag vor der Gefahr einer Nuklearkatastrophe, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt in der Ukraine und darüber hinaus bedrohen könne. Angesichts der Ereignisse vom Freitag sei er „äußerst besorgt“. „Jegliche militärische Feuerkraft, die auf die Anlage gerichtet ist oder von ihr ausgeht, wäre ein Spiel mit dem Feuer, mit möglichen katastrophalen Folgen“, erklärte Grossi. Eine Gefährdung der Sicherheit von Saporischschja müsse „um jeden Preis“ vermieden werden.
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Europas größtes Atomkraftwerk war im März von der russischen Armee besetzt worden, wird aber weiterhin von dem ukrainischen Staatskonzern Energoatom und dessen Belegschaft betrieben. Die Ukraine und die USA beschuldigen Russland, das Kernkraftwerk als Schutzschild zu missbrauchen. Russland weist dies zurück.
Am Freitag nahm Energoatom einen der sechs Reaktoren vom Netz, nachdem eine für den Betrieb wichtige Hochspannungsleitung durch Artilleriebeschuss beschädigt worden war. Die Ukraine und Russland wiesen sich gegenseitig die Verantwortung für den Beschuss zu und beschuldigten einander, eine Nuklearkatastrophe zu riskieren. Nach Angaben von Energoatom trat keine Radioaktivität aus.
Mehr Nachrichten im Liveticker:
20:50 Uhr – Ukrainischer Generalstab meldet: Vorstöße von Russen in Donezk abgewehrt
Die ukrainische Armee gerät im östlichen Gebiet Donezk zunehmend unter Druck – hat am Samstag allerdings eigenen Angaben zufolge vorerst alle Vorstöße der Russen abgewehrt. Es seien russische Offensiven in Richtung der Städte Slowjansk, Bachmut und Awdijiwka zurückgeschlagen worden, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Abendbericht mit. Insbesondere um Bachmut toben seit Tagen heftige Kämpfe. Die prorussischen Rebellen hatten am Vortag vermeldet, es gebe Gefechte bereits innerhalb des Stadtgebiets. Unabhängig können die Angaben beider Seiten nicht überprüft werden.
19:10 Uhr – Nach einer Woche Fahrt erstes ukrainisches Getreideschiff in Tripoli erwartet
Im Hafen der libanesischen Stadt Tripoli wird am Sonntag um 09:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Ankunft des ersten Schiffs mit Getreideexporten aus der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs erwartet. Die „Razoni“ hatte am Montag den Hafen im ukrainischen Odessa mit 26.000 Tonnen Mais an Bord verlassen. Am Mittwoch inspizierten entsprechend einer Vereinbarung beider Kriegsparteien unter anderem Experten der Vereinten Nationen das Schiff vor der Küste Istanbuls, bevor es Richtung Libanon weiterfahren konnte.
18:52 Uhr – Mitglied russischer Besatzungsverwaltung in Cherson gestorben
Im südukrainischen Gebiet Cherson ist Angaben der russischen Besatzungsverwaltung zufolge eines ihrer Mitglieder nach einem Anschlag gestorben. Der stellvertretende Leiter der von den Russen in der Stadt Nowa Kachowka eingesetzten Verwaltung, Witalij Gura, sei seinen Verletzungen erlegen, schrieb die prorussische Politikerin Jekaterina Gubarewa am Samstag auf Telegram. Auch die staatliche russische Nachrichenagentur „Ria Nowosti“ meldete Guras Tod. Demnach soll er früher am Tag in der Nähe seines Hauses von Unbekannten mit einer Schusswaffe angegriffen worden sein.
Infolge des seit knapp einem halben Jahr andauernden Angriffskriegs gegen die Ukraine haben russische Truppen in der Südukraine mehrere Gebiete erobert und dort eigene Verwaltungen installiert. Insbesondere in Cherson gab es seitdem wiederholt Proteste aus der Bevölkerung gegen die neuen Besatzungsmacht. Immer wieder berichteten russische und prorussische Medien auch von Anschlägen.
18:22 Uhr – Internationale Atomaufsicht verlangt Zugang zu Saporischschja
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) drängt nach dem Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja erneut auf Zugang zu der von Russland besetzten Anlage. Der Angriff am Freitag „unterstreicht die sehr reale Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt in der Ukraine und darüber hinaus bedrohen könnte“, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi am Samstag in einer Stellungnahme. Er hielt fest, dass auf dem Gelände Schäden entstanden seien, dass aber die Reaktoren unversehrt seien und keine Radioaktivität ausgetreten sei.
Der Besuch eines IAEA-Teams vor Ort würde helfen, die nukleare Sicherheit vor Ort zu stabilisieren und unabhängige Informationen über den Zustand des AKWs zu liefern. Grossi forderte die Ukraine und Russland auf, endlich gemeinsam einen solchen IAEA-Einsatz möglich zu machen.
Während Moskau ukrainische Truppen für den Beschuss verantwortlich machte, sprach Kiew davon, dass die Russen das Gelände selbst beschossen hätten. Unabhängig sind die Angaben nicht zu überprüfen.
WELT-Grafik: Aktueller Frontverlauf in der Ukraine
17:01 Uhr – Ankara: Zweites ukrainisches Getreideschiff zur Kontrolle eingelaufen, Verflechtungen mit Russland intensiviert
Ein Schiff mit 33 000 Tonnen Mais aus der Ukraine ist am Samstag zur Inspektion in Istanbul eingetroffen. Dies teilte das türkische Verteidigungsministerium auf Twitter mit. Es ist der zweite Getreidefrachter, seit unter Vermittlung der Türkei ein internationales Abkommen über ukrainische Ausfuhren über das Schwarze Meer erzielt wurde. Zwei weitere Schiffe werden in Kürze erwartet.
Präsident Recep Tayyip Erdogan bestätigte unterdessen, dass die Türkei fortan russische Gaslieferungen in Rubel bezahlen und auch das russische Zahlungssystem Mir stärker nutzen werde. Ein neuer Plan zur Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit werde als „Machtquelle zwischen der Türkei und Russland in finanziellen Angelegenheiten“ dienen, sagte Erdogan laut Nachrichtenagentur „Anadolu“ auf seinem Rückflug aus der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi. Dort war er am Freitag mit Präsident Wladimir Putin zusammengetroffen. Die Nutzung des Mir-Zahlungssystems werde auch russischen Touristen den Aufenthalt in der Türkei erleichtern, sagte Erdogan weiter.
16:49 Uhr – Möglicher Papst-Besuch in Ukraine: Vatikan-Botschafter nährt Gerüchte
Reist der Papst in Kürze in die Ukraine? Dieses Gerücht hat der ukrainische Botschafter im Vatikan nach einer Audienz bei Franziskus am Samstag befeuert. Die Ukraine warte seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf das Oberhaupt der katholischen Kirche, schrieb Andrij Jurasch bei Twitter. Und man werde sich freuen, „ihn noch vor seiner Reise nach Kasachstan zu begrüßen“. Der Pontifex plant für 13. September einen Drei-Tages-Trip nach Kasachstan.
Quelle: https://twitter.com/AndriiYurash
Der Vatikan machte keine Details der Unterredung mit Jurasch öffentlich, sondern bestätigte nur das Treffen am Samstagvormittag. Der Botschafter berichtete dagegen, Franziskus habe seine Nähe zum ukrainischen Volk unterstrichen und den Willen geäußert, diese Verbundenheit bei einem Besuch zu zeigen.
16:39 Uhr – Angriffe auf Bachmut und Awdijiwka in Ostukraine
Russische Truppen haben am Samstag nach ukrainischen Angaben Angriff auf zwei strategisch wichtige Städte in der Region Donezk begonnen. „In Donezk führt der Feind eine offensive Operation aus, konzentriert seine Anstrengungen hauptsächlich auf Bachmut und Awdijiwka“, teilte der ukrainische Generalstab auf Facebook mit.
Militäranalysten zufolge sind die beiden Städte von entscheidender Bedeutung für den von Moskau geplanten Vorstoß auf die Regionalzentren Slowjansjk und Kramatorsk. Nach der Eroberung der Region Luhansk hat der Kreml seinen Truppen befohlen, die Region Donezk und damit den gesamten Donbass unter ihre Kontrolle zu bringen.
15:45 Uhr – Ein Block im AKW Saporischschja heruntergefahren
Nach Angriffen auf das Gelände des Kernkraftwerks Saporischschja im Süden der Ukraine ist nach Angaben des staatlichen ukrainischen Betreibers einer der Atomreaktoren heruntergefahren worden. Durch die Luftangriffe sei das „Notfallschutzsystem“ ausgelöst und der Reaktor ausgeschaltet worden, teilte Energoatom am Samstag im Onlinedienst Telegram. Für die Angriffe am Freitag machen sich die Ukraine und Russland gegenseitig verantwortlich.
Nach Angaben von Energoatom haben die Bombardements ein „Hilfsgebäude“ und eine Stick- und Sauerstoffstation „schwer beschädigt“. Es bestehe weiterhin die Gefahr radioaktiver Strahlung sowie ein erhöhtes Brandrisiko, erklärte der Betreiber. Das ukrainische Personal arbeite aber und das Kraftwerk produziere trotzdem weiterhin Strom
14:38 Uhr – Ukraine: Anhaltende Brand- und Strahlungsgefahr nach Beschuss von AKW
Nach dem Beschuss des von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja besteht weiter erhöhte Brand- und Strahlungsgefahr. „Das Atomkraftwerk Saporischschja arbeitet mit dem Risiko einer Verletzung der Normen für Strahlen- und Brandschutz“, teilte die staatliche ukrainische Atombehörde Enerhoatom am Samstag auf ihrem Telegram-Kanal mit. Beide Kriegsparteien machen sich gegenseitig für den Angriff auf die Anlage verantwortlich.
Durch den Beschuss am Vortag seien eine Stickstoffanlage und ein Hilfskorpus des Kraftwerks beschädigt worden. „Es bleibt das Risiko, dass Wasserstoff austritt und sich radioaktive Teilchen verteilen, auch die Brandgefahr ist hoch“, berichtete Enerhoatom. Das ukrainische Kraftwerkspersonal versuche, auch unter diesen Bedingungen die atomare Sicherheit der Anlage zu gewährleisten. Die Bedrohung aufgrund der Besetzung des Kraftwerks durch russische Truppen bleibe allerdings hoch.
Am Freitag war die Anlage in der Stadt Enerhodar im Gebiet Saporischschja durch einen Beschuss in Brand geraten, konnte aber gelöscht werden. Ein Block des AKW musste abgestellt werden. Die Energieversorgung in der Stadt fiel teilweise aus. Während Moskau ukrainische Truppen dafür verantwortlich machte, sprach Kiew davon, dass die Russen das Gelände selbst beschossen hätten. Unabhängig sind die Angaben nicht zu überprüfen.
13:26 Uhr – Russen melden, 600 Ukrainer getötet zu haben
Das russische Militär hat nach eigenen Angaben mit Luft- und Artillerieschlägen fast 600 ukrainische Soldaten getötet. „Nahe der Ortschaft Bilohirka im Gebiet Cherson wurden durch Luftschläge und Artilleriefeuer der zeitweise Standort der 46. ukrainischen Luftsturmbrigade getroffen“, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Samstag. Mehr als 400 „Nationalisten“ seien getötet worden. Daneben seien durch Raketenangriffe an der Front in Cherson mehr als 70 weitere Soldaten getötet und 150 verletzt worden. Bei Raketenangriffen im Gebiet Dnipropetrowsk seien mehr als 80 „ausländische Söldner“ gestorben.
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UKRAINE-KRIEG
„Das könnte wirklich ein Gamechanger sein“
Konaschenkow berichtete zudem über die Vernichtung mehrerer Artilleriesysteme der Ukraine. So sei eine Batterie von „Olcha“- und Himars-Raketenwerfern zerstört worden. Himars sind präzise US-Mehrfachraketenwerfer mit hoher Reichweite. Moskau hat schon in der Vergangenheit mehrfach die Außergefechtsetzung dieser Waffensysteme gemeldet. Kiew und Washington dementierten dies dann später. Auch für den aktuellen Bericht Konaschenkows gibt es keine unabhängige Bestätigung.
13:15 Uhr – Prorussischer Separatistenführer auf Intensivstation in Moskau
Der Chef der von Russland eingesetzten Militärverwaltung im besetzten südukrainischen Gebiet Cherson, Wolodymyr Saldo, liegt mit Vergiftungserscheinungen im künstlichen Koma auf einer Intensivstation in Moskau. „Heute wurde er im künstlichen Koma mit einem Spezialflugzeug von der Krim nach Moskau geflogen“, berichtete der russische Telegram-Kanal Baza. Sein Zustand gilt als kritisch, eine Vergiftung wird als mögliche Ursache genannt.
Der 66-jährige Saldo ist gebürtiger Ukrainer und war bereits vor der russischen Invasion politisch aktiv. Von 2002 bis 2012 war er Bürgermeister von Cherson, anschließend saß er bis 2014 für die Partei von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch im Parlament. 2015 verlor er die Wahl zum Bürgermeister von Cherson. Kurz nach der Besetzung großer Teile der Südukraine wurde Saldo dann von den Russen als Chef der Militärverwaltung in Cherson etabliert.
Saldo liegt im Moskauer Sklifosowski-Institut für Notfallmedizin – eine Spezialklinik, die sich auch auf Vergiftungen spezialisiert hat. Er wurde zunächst mit dem Verdacht auf Herzinfarkt und Schlaganfall in ein Krankenhaus eingeliefert, der Verdacht bestätigte sich aber nicht. Stattdessen äußerten die Ärzte den Verdacht, dass er vergiftet worden sei. Der Gesundheitszustand verschlechterte sich mit der Zeit rapide, so dass er ins Koma versetzt wurde.